Herzlich willkommen zur heutigen Nachmittagsführung durch unsere Ausstellung: ‚Selbstbewusste Frauen‘. Ich beglückwünsche Sie, dass Sie dabei sein können. Die Tickets für unsere Exhibition sind begehrt, aber wem sage ich das. Sie wissen besser als ich, wie lange im voraus Sie Ihre Eintrittskarten erstanden haben.
Unsere Sammlung ist sehr umfangreich, das wissen Sie sicher. Viele Exponate lagern im Archiv, und für das Publikum werden ständig wechselnde Exemplare ausgewählt. Wenn Sie also in ein paar Jahren wiederkommen möchten, werden Sie ganz andere Dinge zu sehen bekommen als heute, das kann ich Ihnen versprechen.
Und jetzt will ich sie nicht länger auf die Folter spannen. Gehen wir dort hinüber.
Hier sehen Sie Marie Gouze. Eine hübsche Frau, nicht wahr? Obwohl sie es in jungen Jahren nicht leicht gehabt hat. Sie war ein uneheliches Kind einer Wäscherin und wurde mit 17 Jahren gegen ihren Willen mit einem Gastwirt verheiratet. Der Mann starb bald, und sie ging eine Liebesbeziehung mit einem reichen Mann ein, ohne je wieder zu heiraten.
Eine nennenswerte Schulbildung hatte sie nicht, sie sprach noch nicht einmal Französisch, sondern Okzitan. Aber sie war selbstbewusst, sonst hätte sie in unserer Ausstellung keinen Platz gefunden: Sie betrieb erfolgreich ein Selbststudium und schrieb: Theaterstücke, Romane, Pamphlete. Als Künstlernamen, mit dem sie viele ihrer Texte unterzeichnete, benutzte sie den Vornamen ihrer Mutter und eine abgewandelte Form ihres Familiennamens: Olympe de Gouges.
Während der Französischen Revolution wurde Olympe de Gouges eine leidenschaftliche Verfechterin der, wie sie sagte, Menschenrechte der Frau, der Bürgerinnenrechte. Bisher bekamen nur besitzende europäische Männer das Privileg der Menschenrechte, das war ihr ein Dorn im Auge.
1791 verfasste sie die ‚Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne‘ als Protest gegen die Männer-Privilegien, die nun in den Verfassungsrang erhoben waren. Da der Souverän alle Frauen von der Volkssouveränität ausschloss, nannte Olympe de Gouges das neue Regime Tyrannei.
In ihrer Schrift heißt es:
„Mann, bist du überhaupt imstande, gerecht zu sein? Allein der Mann will in diesem Jahrhundert der Aufklärung und des klaren Verstandes in durch nichts mehr zu rechtfertigender Unwissenheit despotisch über ein Geschlecht herrschen, das über alle geistigen Fähigkeiten verfügt. Er nimmt für sich in Anspruch, die Revolution für sich allein zu nutzen und seine Rechte auf Gleichheit einzufordern.“
Sie schütteln den Kopf? Das kann ich gut verstehen.
Im Sommer 1793 wurde Olympe de Gouges verhaftet und als Royalistin angeklagt. Die Anklage entsprach dem Zeitgeist, aber natürlich wollte man auch ihre Ansichten über die Frauen sanktionieren.
Das Todesurteil wurde im November auf der Place de la Concorde durch die Guillotine vollstreckt.
Haben Sie noch Fragen? Ja?
Ob es noch mehr solcher Frauen damals gab? Aber ja doch!
Da ist zum Beispiel Madame de Staël, die sich ständig in die Politik einmischte. Oder Madame Roland, die auch unter der Guillotine endete. Oder Mary Wollstonecraft, die sich für die gleichberechtigte Schulbildung für Mädchen einsetzte. Sind alle bei uns im Archiv. Wie gesagt: Wenn Sie vielleicht einmal wiederkommen…
Jetzt gehen wir ein paar Schritte weiter zu der Vitrine rechts. Ganz recht, zu der Frau mit dem riesigen weißen Hut. Das ist Emily Davison. Sie und andere Frauen in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten von Amerika wurden als Sufragetten bezeichnet. Das kommt vom englischen Wort ‚suffrage‘, was Wahlrecht bedeutet. Sie ahnen es bereits: Davison und ihre Mitstreiterinnen forderten ein Wahlrecht für Frauen.
Begonnen haben die Suffragetten allerdings ganz anders. Es gab in Großbritannien in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts ein Gesetz zu Geschlechtskrankheiten, das Prostituierte zu medizinischen Untersuchungen verpflichtete, um solche Übel einzudämmen. Eine gute Sache war das, sollte jeder vernünftige Mensch finden, denn sie diente einer gesunden Gesellschaft und gestattete eine risikolose Triebabfuhr. Die Sufragetten waren aber nicht vernünftig, sie wandten sich gegen das Gesetz und erreichten tatsächlich dessen Aufhebung.
Damit war für sie der Bann gebrochen. Das Frauenwahlrecht sollte durchgesetzt werden, und zwar mit allen Mitteln. Die Suffragetten rauchten demonstrativ in der Öffentlichkeit und stellten damit ein Vorrecht der Männer infrage. Das war eine vergleichsweise harmlose Provokation, aber Davison und ihre Mitstreiterinnen scheuten vor nichts zurück: Es gab Hungerstreiks, Frauen ketteten sich in der Nähe des Parlaments und des Sitzes des Premierministers an, sie warfen Schaufenster von Kaufhäusern ein, verübt Bombenanschläge auf öffentliche Gebäude und steckten Herrenhäuser in Brand.
Schiller scheint das vorausgesehen zu haben, als er in der ‚Glocke‘ dichtete:
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz.
Natürlich führten die Aktionen zu Verhaftungen, und die Verhaftungen führten zu noch mehr Gewalt: 1912 zerstörten 150 Suffragetten, mit Hämmern und Steinen bewaffnet, 270 Fenster im Einkaufsviertel im Londoner Westend. In den nächsten beiden Jahren verübten Suffragetten mehrere Attacken mit Messern und Beilen auf Gemälde in Londoner Ausstellungen, was zu einer temporären Schließung aller Museen im Stadtgebiet und Hausverboten für Frauen mit langen Mänteln oder Taschen führte.
Und es gab auch eine Tote, nämlich Emily Davison, vor der wir hier stehen. Sie warf sich beim Epsom Derby vor das Pferd des Königs und erlitt dabei erhebliche Verletzungen, die tödlich waren. Vermutlich wollte sie Suizid begehen, was in Anbetracht einer schweren Wirbelsäulenverletzung, die sehr schmerzhaft gewesen sein muss, verständlich ist. Sie hat sich diese Verletzung übrigens selbst beigebracht, als sie sich während einer ihrer zahlreichen Haftstrafen im Gefängnis eine Eisentreppe hinunterwarf. Aber es wird Sie nicht überraschen: Die Suffragetten erklärten sie zur Märtyrerin.
Etwas anderes wird Sie vielleicht überraschen: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, 1918, erhielten Frauen ab 30 Jahren, die im Besitz von Grundeigentum waren, das Wahlrecht.
Sie fragen sich, warum das so war, trotz der Verbrechen, die die Suffragetten zweifellos begangen hatten? Die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern: Früher wurden Kriege von Soldaten geführt, überwiegend männlichen Soldaten, was zu Arbeitskräftemangel führte. Diese Lücke füllten die Frauen, und sie nutzten aus, dass sie eine Zeitlang unentbehrlich gewesen waren.
Heute könnte das natürlich nicht mehr passieren: Die Kriege, die wir führen, werden von künstlicher Intelligenz gesteuert und von Automaten durchgeführt.
Gibt es noch Fragen?
Es gab keine.
Dann gehen wir jetzt zu meiner Lieblingsvitrine. Die steht da hinten an der Wand, in der Mitte, ganz prominent.
Fällt Ihnen etwas auf? Richtig, die Büste dreht sich, anders als die beiden, die wir bisher betrachtet haben. Und, ja, Sie sehen richtig: Sie verändert sich. Es gibt verschiedene Gesichter, unterschiedliche Kleidung. Des Rätsels Lösung: Wir sehen hier keine konkrete Person, sondern Inkarnationen der Frauen eines Landes im Wandel der Jahrzehnte.
Wir machen jetzt ein kleines Rätselspiel, wenn Sie einverstanden sind: Ich verrate Ihnen nicht, um welches Land es sich handelt. Ich bin sicher, Sie kommen allein darauf.
Es ist ein sehr patriarchalisch strukturiertes Land. Ich weiß, diese Aussage hilft Ihnen nicht, denn welches Land ist das nicht? Im 20. Jahrhundert gab es wiederholt Versuche, diese Strukturen zu verändern. Politiker, die zwar selbst aus dem Land stammten, aber wenig von ihm verstanden, die sowjetische Besatzungsmacht und auch westliche Truppen, die sich im Land breitmachen, gewährten Frauen Bildung und politische Beteiligung.
Das waren aber temporär begrenzte Versuche. Die alten Traditionen erwiesen sich als erfolgreicher. In der Öffentlichkeit verhüllen Frauen wieder ihr Gesicht. Sie dürfen keine Parks besuchen und keinen Sport treiben. Weiterführende Schulen für Mädchen sind geschlossen. Der Zugang zu Universitäten ist Frauen verwehrt.
Der natürliche Ort für Frauen ist das Haus, deshalb sind ihre Aktivitäten außerhalb dieses Raumes begrenzt und werden beaufsichtigt. Bei Reisen durchs Land werden sie von männlichen Verwandten begleitet. Auch wenn Frauen das Haus verlassen wollen, müssen sie zuerst die Erlaubnis des Ehemanns einholen.
Die Möglichkeiten der Berufsausübung sind beschränkt. Eine Zusammenarbeit mit Männern am Arbeitsplatz ist nicht möglich. Ehemänner können ihre Frauen von unnötiger Beschäftigung abhalten.
Weibliche Reize sollen in der Öffentlichkeit unsichtbar und unhörbar sein, um Männer nicht in Versuchung zu führen. Deshalb sind Friseur- und Schönheitssalons von Frauen für Frauen nicht gestattet. Mädchen über zwölf Jahren ist es verboten, in Abwesenheit von Männern zu singen.
Der eheliche Beischlaf ist obligatorisch. Die Frau ist verpflichtet, den sexuellen Bedürfnissen ihres Mannes jederzeit nachzukommen.
Schauen wir noch einmal genau auf die Vitrine: Sie sehen den himmelblauen Hintergrund, nicht wahr? Und jetzt warten Sie, bis die Animation die Burka zeigt – da! Ist es nicht wunderschön, wie das Blau des Umhangs mit dem Blau des Himmels verschmilzt, so dass die Frau nahezu unsichtbar ist? So soll es sein!
Sie werden bemerkt haben, dass der Frauentypus in dieser Vitrine ein anderes Selbstbewusstsein zeigt als Olympe de Gouges und Emily Davison. Ein richtiges, kein übersteigertes. Die Frau hier steht in Einklang mit ihrem Frausein, während die Britin und die Französin nicht sie selbst sein wollen.
Da wir gerade bei Nationalitäten sind: Haben Sie das Land erkannt, um das es hier geht? Ja? Woran denn? Nur an der Burka? Das dachte ich mir. Wenn man von der lokalen Mode absieht, sind die Verhältnisse in unserer Welt doch überall ähnlich.
Wir sind am Ende unserer kleinen Führung angelangt, aber selbstverständlich beantworte ich noch gern Ihre Fragen, wenn Sie welche haben.
„Ich habe von Fāṭima al-Fihrīya gehört, die im 9. Jahrhundert in Fes in Marokko lebte. Sie hat in dieser Stadt eine Universität gegründet, die älteste kontinuierlich betriebene Universität der Welt. Sie war berühmt und zog Studenten aus der ganzen Welt an. Averroes und der spätere Papst Silvester II. sollen dort studiert haben. Können Frauen also doch…“
Ja, ja, man hört viel, wenn der Tag lang ist, auch viele Lügen. Eine solche Frau hat es nie gegeben.
Und jetzt, meine Herren, entlasse ich Sie. Ihre Frauen erwarten Sie bestimmt schon zum Abendessen.
Juli 2024