Die Sägebande

Die Sägebande
Kennt Ihr Dehland? Nein? Macht nichts. Ihr habt wenig verpaßt. Früher war Dehland einmal sehr schön, und ab und zu erinnern sich auch seine heutigen Bewohner daran. Sie werden dann wehmütig und singen ein Lied, das mit den Versen beginnt:
„Kein schöner Land in dieser Zeit,
als hier das unsre weit und breit…“

Ihr merkt, das ist ein schlechter Reim. Aber der Liedanfang verrät uns nicht nur etwas über die mangelnde Dichtkunst der Einwohner von Dehland, sondern auch etwas ber ihren Hochmut. Sie hielten sich und ihr Land schon immer für etwas Besseres, und das tun sie noch heute.

Natürlich leben in Dehland viele verschiedene Tiere, aber „die“ Bewohner sind Menschen. Sie glauben, ihr Land völlig unter Kontrolle zu haben. Ab und zu denkt der eine oder andere von ihnen zwar daran, daß es zum Beispiel viel mehr Ameisen als Menschen gibt – das fällt ihm vielleicht auf, wenn seine Zuckerdose in der Küche leergefressen ist, weil er vergessen hat, sie zuzumachen. Aber dann verwendet er Insektenspray und erinnert sich nicht weiter an diesen für ihn unappetitlichen Zwischenfall. An die sogenannten „Nutztiere“ verschwendet kaum ein Mensch jemals auch nur einen Gedanken. Er nimmt es als ganz selbstverständlich, daß er täglich Hähnchenschenkel, Schweineschnitzel oder Rindersteak essen kann. Dann gibt es noch die Haustiere, die absoluten Untertanen der Menschen: Apportiert der Hund nicht immer wieder den Zweig, den Herrchen oder Frauchen weggeworfen haben? Streicht die Katze nicht liebesuchend um die Füße der Menschen, die ihr Obdach gewähren? Schnurrt sie nicht dankbar, wenn ihr die Kehle gekrault wird? Weil sie so gehorsam sind, geben die Menschen in Dehland ihren Haustieren stets das leckerste Futter, und weil das so teuer ist, haben sie, wenn sie vom Einkaufen kommen, für den Bettler an der Ecke auch nicht einen Groschen mehr übrig.

An wildlebende Tiere, mit denen sie nicht in Berührung kommen, denken die Menschen überhaupt nicht. Sie glauben nämlich, es gäbe sie nicht. Das ist fast richtig – es gibt kaum noch welche.

Ganz Dehland ist von den Menschen besetzt. Ganz Dehland? Nein – in einem kleinen dehländischen Dorf…

In einem kleinen dehländischen Dorf namens Bärenleben wohnten sie seit Jahrhunderten, die Braunbären. Sie wußten, daß es die Menschen gab, aber die Menschen wußten nichts von ihnen. Das war auch gut so. Wäre es anders gewesen, hätten die Menschen bestimmt längst mit ihren tödlichen Waffen Jagd auf sie gemacht. Die Bären ihrerseits ließen die Menschen in Ruhe, solange sie genug zu fressen hatten – und das war eigentlich immer der Fall.

In diesem Sommer gab es überhaupt keinen Grund, sich mit den Menschen anzulegen. Es war ein wahres Wunder: Alle Beeren waren doppelt oder sogar dreimal so groß wie in den Jahren davor, und sie schmeckten süß und saftig. Die Sträucher schossen empor, daß es die reine Pracht war, und versprachen für das nächste Jahr eine noch bessere Ernte.

Die Dorfsippe schlemmte und mästete sich, so daß die Muskeln anschwollen und die Bäuche sich rundeten. Dabei hielt sich auch Bärdel, ein kräftiger Jungmann, nicht zurück. Er pflückte Handvoll um Handvoll, aber jede dritte Ernte reichte er weiter an Tumu, seine derzeitige Gespielin. Die war nämlich schwanger und kam mit ihrem eindrucksvoll dicken Bauch nicht mehr so gut in die Beerenhecken rein. So sorgte er dafür, daß sie kräftig wurde und hoffentlich ein gesundes Kind zur Welt bringen konnte.

Bären sind diskrete Leute, und deshalb sprach im Dorf niemand über Tumus Schwangerschaft. Dennoch wußte jeder: Da stimmte etwas nicht! Wann war jemals eine Bärin schwanger geworden, um ihre Jungen im Herbst zur Welt zu bringen? Kurz vor dem Winterschlaf, so daß sie keine Zeit mehr hatten, sich den notwendigen Speck für die lange Ruhephase anzufressen? Wer sollte für die Babys sorgen und sie säugen, wenn sie alle schliefen, weil sie schlafen mußten? Nein, das sah nicht gut aus…

Die Sorgen der Sippe waren nur allzu begründet. Tumu kam im November nieder. Ihre Zwillingskinder – ein Junge und ein Mädchen – waren mißgebildet. Eines hatte kein Gehirn, dem anderen fehlten Arme und Beine. Beide starben sofort nach der Geburt.

Tumu war unendlich traurig und weinte, bis ihr die Tränen ausgingen. Bärdel versuchte sie zu trösten, wenn er bei ihr war, und weinte nur heimlich, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Gut, daß es November war – der Schlaf nahm sie endlich in die Arme und half ihnen vergessen.—

Der Winter verging. Im März wurde der Schlaf der Bären flacher, sie begannen wieder, die Außenwelt wahrzunehmen. Immer öfter stieß Tumu Bärdel an, der neben ihr lag:

„Dreh Dich doch mal auf die Seite! Du schnarchst ja, als ob Du einen Wald zersägt hast! Hast wohl geträumt, Du wärst Holzfäller, was?“

Bärdel fühlte sich zwar im Schlaf gestört, aber zu seiner Freude bemerkte er auch, daß Tumu wieder in der Lage war, so etwas wie einen Scherz zu machen. Irgendwann, als er durch die dauernden Ermahnungen munter genug geworden war, begann er zu kuscheln, und sie liebten sich. Danach stand Tumu ganz selbstverständlich auf und fing an, nach frischen Märzbecherwurzeln zu graben. Die neue Saison begann.

Obwohl Bärenfrauen mindestens genauso klug sind wie Bärenmänner, sind sie nicht „emanzipiert“. Sie haben kein Interesse an endlosen Diskussionen, sie lieben das Leben und sorgen dafür, daß es weitergeht – das heißt, sie spielen mit ihren Kindern, bis die groß genug sind, um sich alleine zurechtzufinden, und setzen neue in die Welt. Im normalen Bärenleben ist das eine durchaus vernünftige Einstellung, aber auch in komplizierten Situationen?

Bärdel fand, daß sie sich jetzt in einer komplizierten Situation befanden. Man mußte nachdenken, und das ging allein weniger gut als in der Gemeinschaft. Warum waren die Beeren im letzten Sommer so unnatürlich groß gewesen? Würden sie es wieder werden? Warum hatte Tumu eine so außergewöhnliche Schwangerschaft gehabt? Hing das zusammen? Konnte sich das wiederholen?

Er traf sich also mit seinen Freunden, um über diese Probleme nachzudenken. Sie saßen im Kreis. Sie kauten auf den letzten zähen Schneebeeren herum, die der Winter übriggelassen hatte. Dabei dachten sie intensiv nach.

„Die Beeren waren viel zu groß.“

„Tumus Schwangerschaft war unnatürlich.“

Nur diese beiden Sätze fielen. Dann herrschte Stille. Wäre jetzt ein Mensch vorbeigekommen, so hätte er gewiß gedacht, daß sie schliefen, denn sie hatten die Augen geschlossen. Menschen halten das Schweigen nicht aus, es sei denn, sie schlafen. Sie nutzen jede Pause, um sie mit akustischem Müll zu füllen.Wenn es still ist, beginnen sie, hektisch auf ihren Stühlen hin und her zu rutschen oder mit den Augen den Himmel zu suchen, den sie schon längst nicht mehr sehen können, weil sie überall Betondecken eingezogen haben.

Bären dagegen lieben die Stille und nutzen sie. Für sie ist es selbstverständlich, einen Gedanken erst zu äußern, nachdem sie sich alle möglichen Konsequenzen überlegt haben, die daraus resultieren könnten. Das klappt meistens, aber nicht immer.

Schließlich begannen sie zu sprechen:

„Das hat es noch nie gegeben.“

„Wir waren nicht die Ursache, denn wir haben gelebt wie immer.“

„Also war es Gaia.“

„Oder die Menschen.“

Sie näherten sich dem Problem anaytisch. Gab es gehäufte Erdbeben? Klimaveränderungen? Schwankungen des Sonnenwinds?
Nicht, soweit sie es beurteilen konnten.

Was also dann?

„Seit sechs Jahren gibt es westlich von uns so ein großes Bauwerk in Eiform..“

„Fast direkt unter unserem Dorf liegt eine Kaverne, die wird seit Jahren heftig ausgebaut..“

„Sie bauen da auch eine riesige Lagerhalle…“

„Die Eisenbahngeleise sind verstärkt worden, als erwarteten sie Transporte mit großen Lasten…“

Wieder versanken sie in Schweigen. Sie mußten es nicht aussprechen: Natürlich waren die Menschen an den Veränderungen schuld. Aber wieso? Wie sollten sie das herausfinden?

Menschen hätten diese Frage in den Vordergrund gestellt, aber die Bären dachten pragmatisch. Den Grund für das Handeln der Menschen konnte man immer noch herauskriegen. Zuerst aber mußten sie gestoppt werden.

„Die Menschen“, sagte Bärdel nach einer weiteren langen Denkpause, „sind hoch entwickelt. Sie nennen das Technik. Sie können sich über weite Entfernungen miteinander verständigen. Und sie haben Hilfsmittel, um schwere Dinge zu bewegen. Da sollten wir ansetzen.“

„Gut, aber wie?“ fragte die Runde.

„Laßt mich nur machen“, antwortete Bärdel geheimnisvoll. „Ich schlafe heute nacht im Wald, das wird schon helfen.“

Er erinnerte sich an die Nächte im Vorfrühling. “ Du schnarchst ja, als ob Du einen Wald zersägt hast“, hatte Tumu ihm vorgeworfen. Er würde es den Menschen schon beweisen, daß er sägen konnte!

Abends ging er allein in den Wald. Er suchte sich zum Schlafen eine Stelle aus, an der es nur wenige Bäume gab. Stattdessen überragten ihn fünf Telegraphenmasten, zwei Hochspannungsmasten und drei Oberleitungsmasten einer Eisenbahnlinie. Er legte sich auf den Rücken und nahm sich ganz fest vor, auch so liegenzubleiben. Dann zählte er schrecklich viele Bäume, um besser einschlafen zu können. Dabei stellte er sich vor, er sei ein berühmter Holzfäller, und bald schon schnarchte er gleichmäßig und durchdringend.

Die Sonne ging gerade auf, als er erwachtete. Er blinzelte in den Himmel und sah zehn Silhouetten, die sich schwarz vor blau abzeichneten. Es hatte nicht geklappt. Woran konnte das liegen? Natürlich – allein war er zu schwach! Die Telegraphenmasten waren mächtig dick, und die anderen Träger waren nicht aus weichem Holz, sondern aus viel härterem Stahl! Er untersuchte alle sorgfältig und mußte enttäuscht feststellen, daß keiner auch nur den kleinsten Kratzer zeigte. Wer konnte da helfen? Nachdenklich ging er nach Hause und grübelte dort den ganzen Tag.

Bis zum Abend hatte er die Lösung gefunden. Gemeinsam würden sie stark sein. Er führte seine Freunde zu seiner einsamen Schlafstelle, ohne ihnen genau zu verraten, was er vorhatte. Er machte nur vage Andeutungen wie: „Alleine schaff ich´s nicht…“

Dann gab er ihnen genaue Instruktionen:

„Also, ihr legt euch alle hier hin, und zwar auf den Rücken. In jedes Nasenloch stopft ihr euch eine Schlehenbeere, so daß ihr durch den Mund atmen müßt. Und dann schlaft ihr. Ich bleibe wach und passe auf, daß auch alles klappt.“

In Wahrheit hatte Bärdel keine Zweifel daran, daß sein Plan funktionieren würde, aber er wollte unbedingt zusehen, wie all die stolzen, von Menschen gefertigten Masten in sich zusammenbrachen, zerstört vom Chorgeschnarche seiner Freunde. Die atmeten so laut, daß er sich selbst schließlich Schlehenbeeren in die Ohren stopfte, weil er das Getöse nicht mehr ertragen konnte. Immer wieder sah er hoffnungsvoll zu den Masten hinüber. Doch die rührten sich nicht.

Oder doch? Endlich begannen sie sich zu winden, sie rissen sich aus ihren Verankerungen, vollführten wilde Tanzsprünge, schwangen sich in die Luft und zerbröselten dort in Millionen von kleinsten Teilchen. Bärdel stimmte ein wildes Freudengeheul an – und erwachte. Seine Freunde umringten ihn und betatzten ihn beruhigend: „Alles in Ordnung, Du hast nur schlecht geträumt!“

Nichts war in Ordnung. Höhnisch blickten Telegraphen-, Hochspannungs- und Oberleitungsmasten auf ihn herunter. Ihm war zum Heulen zumute.

„Was hast Du denn eigentlich vorgehabt?“

Und er erzählte. Keiner konnte sich so recht erklären, warum sein Plan nicht geklappt hatte. Es klang alles ganz einleuchtend.

Schließlich sagte der Jüngste in der Runde: „Wiederhol doch noch mal genau, was Tumu damals gesagt hat!“

„Du schnarchst ja, als ob du einen Wald zersägt hast! Hast wohl geträumt, Du wärst Holzfäller, was?“

„Das ist es,“ jubelte der Kleine. „Als ob! Aber wir haben es nicht wirklich getan! Zum Sägen braucht man Sägen, nicht nur Schnarchen!“ und leise fügte er hinzu, was er in der Bärenschule gelernt hatte: „Das war nur ne Metapher von Tumu.“

Den letzten Satz hörten die anderen vor Aufregung schon nicht mehr. Sie brauchten Sägen! Sie würden Sägen haben! Sie würden ihre Sägen nehmen und alles Schlechte in Stücke schneiden, das die Menschen in die Welt gebracht hatten. Vor lauter Seligkeit begannen sie spontan zu singen:

„Kommt, laßt uns alle sägen,

das gibt nen großen Segen.“

Jetzt ist es also doch rausgekommen: Bären reimen manchmal genauso schlecht wie Menschen.

Nach dem Ende des Liedes brummten alle ganz unbärisch undiszipliniert durcheinander.

„Woher kriegen wir Sägen?“

„Wir bauen welche.“

„Im nächsten Ort ist ein Baumarkt, der hat alles, was wir brauchen.“

„Schön, und wir bezahlen mit Bärendreck, oder wie?“

„Den überfallen wir!“

„Wir drohen ihnen!“

„Wir bieten ihnen Honig zum Tausch.“

Nur mühsam beruhigten sie sich und begannen, ernsthaft Pläne zu schmieden. Natürlich brauchten sie Sägen und anderes Werkzeug, und selbstverständlich würden sie alles stehlen müssen. Die Menschen akzeptierten nur Geld, und das hatten sie nicht; alles, was sie besaßen, waren nahrhafte Dinge. Zuerst aber würden sie etwas anderes stehlen: Bücher. Das war Bärdels Idee:

„Wir wissen zu wenig über das, was die Menschen Technik nennen. Bestimmt ist etwas Gefährliches dabei. Denkt an Tumus Fehlgeburt!“

Schon an übernächsten Tag stand es groß in “

WILD. DIE ZEITUNG FÜR DEHLAND“:
TECHNISCHE UNIVERSITÄTSBILBIOTHEK AUSGERAUBT!
NEUE STUDENTENREVOLUTION WEGEN SCHLECHTER STUDIENBEDINGUNGEN?
Die Bären hätten sich schlappgelacht, wenn sie das gelesen hatten. Aber sie lasen ganz etwas anderes, sie quälten sich durch Stöße von Fachliteratur und wollten oft beinahe verzweifeln.

„Was für eine Formel ist das denn schon wieder?“

„Wer kann mit erklären, was der Unterschied zwischen Uran 235 und Uran 238 ist?“

Fragen über Fragen.

Allmählich aber nahmen die Fragen ab; stattdessen fanden sie Antworten.

„Das Ei müssen wir in Ruhe lassen, das strahlt. Am besten wäre es, es zu begraben.“

„In der Höhle unter uns liegen schon Abfälle aus dem Ei, die sind auch hochgefährlich.“

„Radioaktive Strahlung verursacht genetische Schäden.“

Nur mit Mühe konnte Bärdel seine Fassung bewahren. Tumu! Seine und ihre Kinder! Und die Menschen nannten das ganz kalt „genetische Schäden“. Ob die kein Herz hatten? Auf diese Frage fand er keine Antwort.

Sie wußten jetzt, wo sie ansetzen mußten, ohne sich selbst zu gefährden: bei den Transportwegen. Als hätten sie nie etwas anderes getan, räumten sie in einer mondlosen Nacht den Baumarkt in ihrer Nachbarschaft aus. Obwohl sie sehr wählerisch waren, keuchten sie schwer bepackt unter der Last von Drahtscheren, Bolzenschneidern, Wurfankern, Kettensägen und vielem mehr nach Hause. Und wieder hatten sie keine Chance, ihre Publicity zu genießen und über „WILD“ zu lachen:

IST DER YETI UNTER UNS?
 

RÄTSELHAFTE SPUREN BEI EINBRUCH IN BAUMARKT!

Sie schliefen nämlich vor, um bei ihren kommenden Aktionen frisch und fit zu sein.

„WILD“ hatte in den kommenden Wochen viel zu berichten.
ABGESÄGTER HOCHSPANNUNGSMAST LEGT ZUGVERKEHR LAHM!

BRÜCKENPFEILER ANGESÄGT – FERNSTRECKE AUF MONATE BLOCKIERT!

SÄGESPUREN AM ATOMKRAFTWERK!

HAT DER YETI EINE SÄGE?

IST ULRIKE MEINHOF EIN SÄGEZOMBIE?

NEUER ANSCHLAG DER SÄGEBANDE – WANN KÖNNEN WIR WIEDER RUHIG SCHLAFEN?

Plötzlich, von einem Tag auf den anderen, verschwanden die Schlagzeilen. Hatten Bärdel und seine Freunde aufgegeben? War Winterschlafzeit? Natürlich nicht – Bären geben nicht auf, wenn sie sich einmal etwas vorgenommen haben, und es war Juni.

Vom ersten Anschlag an hatte die Polizei der Menschen fieberhaft nach den Attentätern gesucht – fieberhaft, aber zunächst vergeblich. Sie wußten eben nichts von Bärenleben, und sie fanden es auch jetzt nicht. Allmählich aber gingen ihnen Täter in ihr Fahndungsnetz, und es wurden von Tag zu Tag mehr. Die Polizisten verhafteten Menschen, und nach der Verhaftung verhörten sie sie. Alle diese Verhöre verliefen ähnlich.

„Zu welcher Gruppe gehören Sie? Wer ist Ihr Auftraggeber?“

„Ich gehöre zu keiner Gruppe. Ich habe keinen Auftraggeber.“

„Also gut: Warum verüben Sie Sabotage?“

„Ich zerstöre nur, was mich zerstört. Haben Sie im letzten Sommer nicht auch gemerkt, daß Obst und Gemüse viel zu groß gewachsen ist? Mir ist ganz schlecht davon geworden, und ich habe Ausschlag gekriegt. Meine Nichte ist an Leukämie gestorben. Meine Nachbarin hatte eine Frühgeburt.“

Keiner leugnete. Alle bekannten sich stolz zu ihren Aktionen und bedauerten nur, nicht früher damit angefangen zu haben – erst die Aktivitäten der Sägebande hatten sie ermuntert, selbst aktiv zu werden.

Zuerst verboten die Mächtigen den Zeitungen, über Anschläge zu berichten. Sie dachten: Das, was nicht in „WILD“ steht, geschieht auch nicht. Aber so dumm wie sie waren die einfachen Menschen nicht: Sie wollten leben, und also machten sie weiter. Bald stand in Dehland kein Mast mehr, es fuhr kein einziger Zug. Selbst die Autobahnen waren zersägt – kein Schwertransport konnte hier noch durchkommen. Da merkten die Mächtigen allmählich, daß sie nicht so mächtig waren, wie sie gern sein wollten. Endlich mußten sie sich entschließen zu handeln – sie wollten ja schließlich wiedergewählt werden.

ATOMKRAFT IST POLITISCH NICHT DURCHSETZBAR,
so stand es eines Tages in „WILD“. Und was heißt das? Ganz einfach: Die Kaverne unterhalb von Bärenleben wurde mit Kaliabfall verfüllt. Das Atomkraftwerk wurde mit einer tausend Meter dicken Erdschicht bedeckt, so daß ein riesiger Berg entstand, auf dem man im Winter auch in der dehländischen Tiefebene skifahren konnte.Am Südhang wurde ein Solarkraftwerk gebaut. Allmählich wurden Beeren, anderes Obst und Gemüse wieder kleiner, und die Krankheiten verschwanden.

Vier Jahre nach den Sägebanden-Abenteuer brachte Tumu ein gesundes Bärenkinderpaar zur Welt. Bärdel freute sich so bärisch, daß er fast schon wieder Telegraphenmasten zersägt hätte – aber das war jetzt ja nicht mehr nötig. Und die gesamte Bärensippe lachte sich in die Tatzen und feierte mit beim rauschenden Geburtsfest. Aber Menschen hatten sie dazu nicht eingeladen, dazu waren sie zu vorsichtig – man weiß nie, was denen so alles einfallen kann. Besser, wenn sie nicht wissen, wo Bärenleben liegt…


Wenn euch dieses Märchen gefallen hat, empfehle ich eines, das direkt an diese Geschichte anschließt. Es handelt sich um die Geschichte von dem

Außergewöhnlichen Beispiel von Menschenliebe bei wilden Tieren.