Zwei Brüder suchten Abenteuer und verließen deshalb ihre Heimat, in der es ihnen zu eng war. In einem fernen Land ließen sie sich nieder und beschlossen, die Welt einmal so richtig durcheinander zu bringen. Sie selbst, dachten sie, würden dabei viel Spaß haben und reich werden.
Sie verlegten sich darauf, Gifte zu machen und zu verkaufen. Kunden fanden sich schnell: Regierungen mussten ihre Soldaten im Krieg gegen Parasiten und Krankheitsüberträger schützen, Plastikproduzenten waren begierig nach Weichmachern, und Bauern wie Hobbygärtner wünschten sich Pestizide.
Sie wiegten die Kunden in dem Glauben, dass ihre Gifte nur gezielt wirkten, also zum Beispiel gegen Läuse, Malariamücken oder Unkraut. Oft ging aber etwas schief: Vögel legten Eier mit dünneren Schalen und und bekamen deshalb keinen Nachwuchs mehr, Fabrikarbeiter erkrankten, Fische starben in verseuchtem Wasser, die Zahl der Insekten ging zurück.
Natürlich leugneten die Brüder, dass solche unschönen Entwicklungen etwas mit ihren Giften zu tun hatten, aber mehr als einmal mussten sie zähneknirschend akzeptieren, dass ihre Produkte verboten wurden.
Nach einiger Zeit verloren sie die Lust an ihrem giftigen Spiel und verkauften ihre Fabriken an jemanden, der dumm genug war, ihnen dafür viel Geld zu bezahlen. Dumm, weil es niemandem gelang, neue Pestizide zu erfinden, und gegen die alten wurden Pflanzen und Tiere allmählich unempfindlich.
Sie reisten wieder nach Hause und fanden dort ihren jüngsten Bruder, den sie fast vergessen hatten. Er war einfältig, fanden sie, und nannten ihn deshalb den Dummling.
„Na, Kleiner, wie ist es Dir ergangen?“ fragte der Älteste überheblich. Eigentlich wollte er gar keine Antwort haben, stattdessen brannte er darauf, mit seinem Reichtum zu prahlen.
„Mir geht es gut,“ antwortete der Dummling. „Kommt, ich zeige Euch, wie ich lebe.“
Er führte seine Brüder in seinen Wald. Bald kamen sie an einen großen Ameisenhaufen. Die zwei ältesten wollten ihn aufwühlen und sehen, wie die kleinen Ameisen in der Angst herumkröchen und ihre Eier forttrügen. So etwas bereitete ihnen Freude. Mit ihren Giften hatten sie schon vielen Ameisen geschadet. Die kleinen Krabbeltiere waren nur lästig und überflüssig, fanden sie. Aber der Dummling sagte: „Laßt die Tiere in Frieden, ich will nicht, dass Ihr sie stört!“
Da gingen sie weiter und kamen an einen See, auf dem schwammen viele, viele Enten. Die zwei Brüder wollten ein paar fangen und braten, aber der Dummling ließ es nicht zu und sprach: „Laßt die Tiere in Frieden, ich will nicht, daß Ihr sie tötet!“
Schließlich kamen sie an ein Bienennest, darin war so viel Honig, daß er am Stamm herunterlief.
Die zwei wollten Feuer unter den Baum legen und die Bienen ersticken, damit sie den Honig wegnehmen könnten. Der Dummling hielt sie aber wieder ab und sprach: „Laßt die Tiere in Frieden, ich will nicht, daß Ihr sie verbrennt!“
Die beiden älteren Brüder waren sich einig: Bei dem Dummling war es einfach nur langweilig. Nichts dufte man kaputtmachen! Sie beschlossen, wieder in die Welt zu ziehen und ihr Glück in der Ferne ein zweites Mal zu versuchen.
Schnell stellten sie fest, dass die Welt, die sie vergiftet hatten, ein unwirtlicher Ort geworden war. Sie litten Hunger, denn die Pflanzen trugen keine Früchte mehr: Die bestäubenden Insekten waren verschwunden. Und es stank entsetzlich, wohin sie auch kamen: Die kleinen Tiere, die sich früher von Aas ernährt hatten, waren verschwunden. Sie schämten sich, aber sie wussten keinen anderen Ausweg – sie kehrten zu ihrem Bruder zurück.
„Schau an, schau an!“ sagte der Dummling. „Jetzt wisst Ihr also, dass Insekten wie Ameisen und Bienen wichtig sind, oder? Dass es dumm und kurzsichtig ist, sie zu vergiften oder sonstwie umzubringen? Zum Glück sind meine Tiere ja noch am Leben, ich kann Euch also zu essen geben. Und bei mir riecht es nach Leben, nicht nach Tod.“
Die Älteren bedankten sich kleinlaut und futterten, bis alle Teller und Schüsseln leer waren.
Danach sagte der eine: „Es ist bei Dir, wie es sein soll.“
Dann der andere: „Aber überall sonst ist die Welt verdorben. Wir haben sie verdorben.“
Und der eine: „Kann man das wieder rückgängig machen? Kannst Du das?“
„Mal sehen,“ meinte der Dummling. „Es gibt ja noch die Enten. Die sind aber umgezogen und wohnen jetzt in der Stadt. Wir können zu Fuß dahin gehen. Keine Sorge, es ist nicht weit!“
Die beiden älteren Brüder schüttelten den Kopf. Enten, die in der Stadt leben! Er war eben doch der Dummling, ihr kleiner Bruder! Aber weil ihnen nichts besseres einfiel, ließen sie sich auf den Vorschlag ein.
Die Stadt war wirklich nicht weit weg, aber Häuser, Straßen und Parks waren deutlich kleiner, als sie es kannten, nämlich in entengerechter Größe. Nur ein riesiges würfelförmiges Gebäude, das auf einem Hügel thronte, stach heraus.
Der Dummling zeigte darauf: „Dahin müssen wir! Ich empfehle Euch, sehr höflich zu ihm zu sein.“
„Zu ihm? Wer ist er?“
„Dagobert Duck ist die reichste Ente der Welt. Vielleicht das reichste Individuum überhaupt. Und er ist ungemein geizig.“
„Was wollen wir dann bei ihm?“
Der Dummling zuckte die Schultern. „Abwarten. Auch eine geizige Ente ist eine Ente.“
Er drückte auf den Klingelknopf, hielt sein Gesicht in die Kamera, die über der Tür angebracht war, beantwortete die Frage, ob er ein Panzerknacker oder Gundel Gaukeley sei, mit ‚Nein‘ und wurde eingelassen.
Drinnen hörten sie, wie Metall auf Metall schlug.
„Das bedeutet, dass er wieder badet,“ meinte der Dummling. „Lasst Euch bloß nicht einfallen, über ihn zu lachen!“
Sie stiegen viele Treppen hoch bis unter das Dach, und dann sahen sie einen Erpel mit Backenbart in einem altmodischen roten Frack, der in Goldtalern herumwühlte und dabei quakte: „Es ist mir ein Hochgenuss, wie ein Seehund hineinzuspringen! … Und wie ein Maulwurf darin herumzuwühlen! … Und es in die Luft zu schmeißen, dass es mir auf die Glatze prasselt!“ Trotz seiner Ekstase merkte er irgendwann, dass er nicht mehr allein war. Er setzte sich auf, musterte seine Besucher und sagte: „Bei mir könnt Ihr alles kaufen. Ich bin der größte Kaufmann der Welt und mache die besten Preise. Was darf’s denn sein?“
Der Dummling tat bescheiden. „Ach,“ nichts Besonderes. Nur ganz gewöhnliche Lebensmittel: Butter, Eier, Milch, Zucker, Mehl und Maiskolben.“
„Ts, Ts, Ts,“ machte Dagobert Duck. „Ganz gewöhnliche Lebensmittel, ja? Zufällig die wichtigsten Zutaten für meine Lieblingsgerichte: Pfannkuchen und Maiskolben mit warmer Butter, ja? Dinge, die gerade auf dem Markt kaum zu bekommen sind, ja?“ Er richtete sich zu voller Größe auf und trompetete: „Wer seid Ihr?“
„Ich bin nur der Dummling,“ antwortete der Dummling. „Diese beiden sind meine Brüder. Sie haben die Welt vergiftet. Deshalb gibt es die Zutaten für Deine Lieblingsgerichte kaum noch. Wir sind hier, weil wir Deine Hilfe brauchen.“
„Wie das?“ fragte der Erpel höhnisch. Soll ich etwa Milch scheißen und Eier legen?“
„Ganz sicher nicht,“ sagte der Dummling. „Aber Du hast viel Geld. Damit kannst Du die Welt reparieren.“
„Mit meinen 500 Trillionen, 253 Billiarden, 675 Billionen, 123 Milliarden, 934 Millionen, 300 500 Talern und 13 Kreuzern soll ich die Welt reparieren? Warum sollte ich das tun?“
Dem Dummling gingen viele Antworten durch den Kopf, aber er entschied sich für nur eine: „Weil Du dann wieder ohne Probleme Pfannkuchen und Maiskolben mit warmer Butter essen kannst, soviel Du magst.“
„Das leuchtet mir ein,“ meinte Duck. „Ich mache das, wenn ich nur meinen Glückskreuzer behalten kann. Aber sag mal: Kann man die vergiftete Welt wirklich mit Geld reparieren?“
„Im Märchen geht das. Im Märchen geht alles. Aber nur im Märchen.“
Und als die drei Brüder nach Hause gingen, krabbelten überall die Ameisen, summten überall die Bienen und schwammen auf vielen Teichen die Enten.
März 2024