Es war Januar. Die gesellschaftlichen Aktivitäten in Bärenleben hielten sich dementsprechend in Grenzen. Nur einmal in der Woche traf sich die Dorfgemeinschaft zu einem geselligen Beisammensein in der Höhle. Die übrige Zeit verschliefen oder verträumten die Bewohner, zumindest die Bären.
Bei einem der seltenen Zusammentreffen fragte Manfred: „Seid Ihr damit einverstanden, dass wir für Bärenleben einen 3D-Drucker kaufen?“
„Kaufen?“ kicherte Tumu. „Was sind denn das für neue Moden? Sonst ‚besorgst‘ Du doch immer alles, was wir brauchen!“
„Mama, es handelt sich um eine neue revolutionäre Technologie. Die ist bei unseren Nachbarn noch nicht angekommen. Und selbst wenn jemand schon so ein Teil in der Garage hätte, wäre es bestimmt zu klein. Ich dachte an ein Profigerät.“
„Wozu ist so ein Gerät denn gut?“ fragte die alte Bärin.
„Ein 3D-Drucker“, erklärte Manfred, „produziert Gegenstände im dreidimensionalen Raum, also in unserer Welt. Dazu braucht er nur genügend Rohstoffe.“
„Hm“, kommentierte die alte Bärin und betrachtete nachdenklich den Besen, den sie in der Hand hielt. Sie wurde kaum je ohne ihn gesehen – zu fegen gab es immer etwas. „Kann Dein Ding auch einen Besen herstellen? Bei meinem sind die Borsten schon arg abgenutzt.“
„Das dürfte kein Problem sein,“ antwortete Manfred. „Ich dachte allerdings an etwas Komplizierteres.“
Die alte Bärin schaute ihn verwundert an, sagte aber nichts. Was könnte es Komplizierteres geben als einen Besen?
„Kann Dein Gerät auch mich drucken?“ erkundigte sich Piggy. „Ich meine, einen Klon von mir?“
Jetzt beschloss die alte Bärin, nicht länger zuzuhören. Warum sollte ein Gerät einen Clown machen sollen?
„Ein Schwein aus Fleisch und Blut kann der Drucker nicht herstellen. Ein Metallschwein schon.“
„Eine Skulptur also?“
„Nein, kein Kunstwerk. In dem Metallschwein sind die biologischen Funktionen durch mechanische und elektronische ersetzt worden.“
„Du willst ein Roboterschwein bauen?“ erkundigte sich Bärdel ungläubig. „Warum in aller Welt?“
„Ich will es nicht bauen, ich will es bauen lassen. Ebenso wie Roboterbären und Roboterfrösche und Robotereulen und was wir sonst noch brauchen können.“
„Brauchen? Wozu brauchen?“ Nur Bärdel hörte den drohenden Unterton in der Stimme seines besten Freundes, der direkt neben ihm saß. Kulle war sehr zornig.
Manfred sah ihn verwundert an. „Damit sie uns die Arbeit abnehmen, natürlich!“
„Die Arbeit, mein lieber Manfred, ist ein Prozess zwischen denkendem Tier und Natur, ein Prozess, worin das denkende Tier einen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Es tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Es entwickelt die in ihm schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eigenen Botmäßigkeit. Arbeit ist das Feuer der Gestaltung!“
„Das Reich der Freiheit beginnt da, wo Arbeit aufhört!“ konterte Manfred.
„Aber: Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit eine von allen Gesellschaftsformationen unabhängige Existenzbedingung des denkenden Tieres, ewige Notwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen denkendem Tier und Natur zu vermitteln.“
„Könnt Ihr bitte damit aufhören, uns Marxzitate an die Köpfe zu knallen?“ fragte Ramses in seiner typischen sanften Art. „Wenn ich Manfred richtig verstanden habe, dann will er die Arbeit nicht abschaffen, sondern uns Bärenlebener davon entlasten, indem er sie Maschinen überträgt, die von dem 3D-Drucker hergestellt werden.“
„Genau!“ Manfred stimmte erleichtert zu.
„Du willst also eine neue Version einer Sklavenhaltergesellschaft entstehen lassen“, grummelte Kulle.
„Aber nein!“ widersprach Manfred. „Die Roboter besitzen eine Basisintelligenz, die sie permanent weiterentwickeln. Sie lernen ständig dazu.“
„Was meinst Du denn, was sie lernen werden, wenn sie intelligent sind und die Verhältnisse in Bärenleben beobachten? Dass wir philosophieren und sie schuften! Dass das Roboterschwein eine notwendige Rolle im Dorf spielt, während das Fleisch-und-Blut-Schwein ein parasitäres Leben führt? Werden sie sich das lange gefallen lassen? Sie haben nichts zu verlieren als ihre Ketten!“ Piggy war empört und zeigte, dass sie Marx’ Schriften gelesen hatte, während die Bären ihren Winterschlaf hielten.
Weil die alte Bärin sich zu langweilen begonnen hatte, hörte sie seit einiger Zeit doch wieder zu, allerdings ohne etwas zu verstehen. Sie kam auf den Punkt zu sprechen, der ihr wirklich am Herzen lag: „Wird Dein Ding mir nun einen neuen Besen schaffen, oder nicht?“
„Nein!“ sagte Manfred fest.
„Dann will ich Dein Ding nicht haben!“ urteilte die alte Bärin nicht weniger entschieden.
„Ich auch nicht! Irgendwann wird ein Roboterbärdel mal Dorfchef, und was mache ich dann?“
„Ich will meinen Kuchen selber backen!“
„Philosophieren macht viel mehr Spaß, wenn man dazu selbstgebackenen Kuchen isst.“
„Sollen wir etwa zulassen, dass Roboter Na und Nuk unterrichten?“
…
Manfred zog sich allmählich in die dunkelste Höhlenecke zurück. Er hatte verloren. Fürs erste. Er bezweifelte, dass Bärenleben sich dem allgemeinen Trend auf lange Sicht würde entziehen können.
Januar 2018