Der Mensch
von P. D. Kulle
- Annäherung an den Gegenstand
- Das Tier
- Der Raub
- Das Raubtier
- Der Mensch
- Die allgemeine biologische Natur des Menschen
- Der Raubtiercharakter des Menschen
- Die Bewusstheit des Menschen
- Conclusio
- Das Übliche
1. Annäherung an den Gegenstand
Wir gehen von der Hypothese aus, dass es sich beim Menschen um ein Tier handelt, obwohl dieser Tatbestand häufig von Angehörigen dieser Spezies geleugnet wird. Wir werden sehen.
1a. Das Tier
Tiere sind Lebewesen, die sich heterotroph ernähren, also Konsumenten sind. Sie benötigen pflanzliche oder tierische Nahrung oder eine Mischung aus beidem. Die meisten Tiere sind frei beweglich, alle sind mit Sinnesorganen und einem Nervensystem ausgestattet. Grundmodul von Tieren ist die Zelle mit einer sehr dünnen Zellmembran. Tiere haben eine recht kompakte Form mit reich gegliederten inneren Hohlräumen, in denen der Stoffaustausch mit der Umgebung überwiegend stattfindet. Wegen des niedrigen Zelldrucks bilden Tiere Stützorgane in Form von Außen-, Innen- oder Hydroskeletten aus. Es gibt viele Arten, und die Anpassungsfähigkeit von Tieren ist hoch; so wurde auch die Besiedelung extremer Lebensräume möglich. Dazu trägt auch die zum Teil hoch entwickelte Brutpflege bei. – Nach sehr grober Schätzung sind 500 Millionen Arten von Tieren bisher ausgestorben.1 Der von den Menschen erfundene wissenschaftliche Name für die Tierkunde lautet „Zoologie“ und ist aus dem Griechischen abgeleitet.2 Die ebenfalls von den Menschen praktizierte Tier- oder Veterinärmedizin hat ihre Ursprünge im Altertum; entsprechende Papyri aus Ägypten sind überliefert. Diese auf die Heilung von Krankheiten gerichtete Wissenschaft konzentriert ihre Kräfte überwiegend auf Haus-, Nutz-, Versuchs-, Laboratoriums- und Zootiere; in freier Wildbahn lebende Tiere werden von ihr kaum beachtet.
1b. Der Raub
Raub ist definiert als ein Diebstahl, bei dem die Wegnahme unter Androhung von Gewalt gegen eine Person oder unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erfolgt.3 Raub wird – unter Menschen – mit Freiheitsstrafe oder mit Körperstrafen bis hin zur Verstümmelung bestraft.
1c. Das Raubtier
Logisch geschlussfolgert, müsste ein Raubtier ein heterotrophes Lebewesen sein, das anderen heterotrophen oder autotrophen Lebewesen gewaltsam unter Drohungen etwas wegnimmt und dafür bestraft wird. Weit gefehlt! Raubtiere (Karnivoren) sind – Säugetiere! So definieren jedenfalls die Menschen diesen Begriff. Sie zählen etwa 250 Arten solcher Tiere, die tag- oder nachtaktiv sein können und in allen Lebensräumen vorkommen. Gemeinsam ist den Raubtieren ein Gebiss mit stark entwickelten Eckzähnen und meist scharfen Reißzähnen, das bei den meisten dem Töten und Aufreißen größerer Säugetiere dient. Allerdings gibt es auch Allesfresser, wie z. B. Braunbären und Grizzlies4, überwiegende oder fakultative Aasfresser (beispielsweise Schakale und Hyänen) und Pflanzenfresser wie den Bambusbären. Es sei die Bemerkung erlaubt, dass uns diese Klassifizierung als nicht überzeugend erscheint. Wo bleiben die Krebsszelle, der Alligator, der Hai? Aber sehen wir weiter! Genauere Studien ergeben, dass die menschliche Logik räuberisches Verhalten auch jenseits der Säugetiere entdeckt hat, wenn deren Protagonisten auch offenbar nicht wert sind, den Namen „Tier“ zu tragen. So sind Raubameisen bekannt, die Larven und Puppen aus fremden Nestern rauben und die daraus schlüpfenden Tiere als Sklaven für sich arbeiten lassen.5 Auch gibt es – in alphabetischer Reihenfolge – Raubbeutler, Raubfische, Raubfliegen, Raubmöwen, Raubspinnen, Raubvögel, Raubspinnen, Raubwanzen und den Raubwürger, einen Singvogel.
2. Der Mensch
Aufgrund der bisherigen Forschungen ist eine genaue Klassifikation des Menschen ein Kinderspiel. Pikant dabei ist, dass alle folgenden Schlussfolgerungen aufgrund menschlicher Aussagen gezogen werden können.
2a. Die allgemeine biologische Natur des Menschen
Zweifellos sind Menschen heterotrophe Lebenwesen, auf die alle weiteren oben genannten Merkmale zutreffen. Ebenso zweifellos ist der Mensch ein Säugetier, das lebende Junge zur Welt bringt und eine ausgiebige Brutpflege praktiziert. Selbst Menschen geben hin und wieder ihre Tiernatur zu, wenn auch nur widerwillig.6 Diejenigen, die das nicht tun, sind entweder dumm, also religiös verblendet7, oder formal ungebildet.8 Menschen sind überwiegend tagaktiv, können aber auch nachtaktiv sein.9 Das menschliche Gebiss hat sich zwar zurückgebildet, weil die Menschen Mechanismen der Nahrungsaufbereitung entwickelt haben, die ein Reißen mit den Zähnen weitgehend überflüssig machen. Der Mensch besetzt, aktuell und unter Hinterlassung seiner Artefakte, Lebensräume, die andere (Säuge-)Tiere aus gutem Grund meiden. Kein Pinguin besaß jemals die Unvernunft10, am Südpol eine Pinguinfahne zu errichten, und nur der Yeti11 mag ab und an Spaß daran haben, auf dem Mount Everest in den Überbleibseln zahlloser Trekking-Mahlzeiten zu stöbern.
2b. Der Raubtiercharakter des Menschen
Der Raubtiercharakter des Menschen kommt in der Gegenwart direkt nur noch bei sogenannten Kriminellen oder in (Hollywood-)Filmen unmittelbar zum Ausdruck. Der „Böse“ wird, sofern man seiner habhaft wird, aus dem gesellschaftlichen Verkehr gezogen; im Film stirbt er entweder eines spektakulären Todes, oder er entkommt, da er als Bösewicht für eine weitere kassenträchtige Filmfolge benötigt wird. Bei Jägern und Anglern ist das Raubtierverhalten bereits verdeckt, da das Beuteschlagen mittels Maschinen vollzogen wird, die die unmittelbare Beziehung zwischen Jäger und Opfer verdecken, da der Jäger nur noch in den seltensten Fällen selbst das Opfer konsumiert12 und da der Jäger erfolgreich Vorwände für sein Handeln konstruiert, indem er die Jagd z. B. als „Hege“ ausgibt13. Für den „normalen“ Bewohner eines industrialisierten Landes14 spielt die Jagd keine Rolle mehr. Seine Milch, seine Eier, seinen Käse kauft er im Supermarkt oder, als bewusster Verbraucher, im Bioladen. Er ist sich der Tatsache nicht bewusst, dass er Raub begeht, Raub an Kühen, Hühnern, Schafen und Ziegen. Wie sollte er auch: Die genannten Tiere sind in seinen Augen keine „Personen“, denen allein etwas gestohlen werden kann, und in seinem Alltagsleben begreift er sich nicht als Tier.15 Bei den genannten Beispielen handelt es sich „nur“ um Raub, bei den folgenden jedoch um Mord: Huhn, Ente, Gans, Kotelett, Rippchen, Bauchfleisch, Nackenbraten, Beinscheibe, Markknochen, Gulasch, Steak – alles ist Fleisch von Zuchttieren, von Tieren, überwiegend unter untierischen Lebensbedingungen zu einem einzigen Zweck am (kurzen) Leben erhalten: um getötet zu werden, um Fleisch zu liefern.16 Um die zarte Seele des Verbrauchers nicht zu belästigen, liegen diese Fleischfabriken aus gutem Grund abseits von Ballungsräumen.
2c. Die Bewusstheit des Menschen
Der Mensch weiß nichts von sich selbst.
3. Conclusio
Q. E. D.
4. Das Übliche
Da diese Arbeit etwas länger geworden ist, danke ich, wie immer, meiner Sekretärin, und zum wiederholten Male aufrichtig.
Fußnoten:
1 Dieser Tatbestand gibt mehr Anlass zur Hoffnung als zur Besorgnis.
2 Man beachte die nahe Verwandtschaft zum Wort „Zoo“. Für Menschen scheint der Begriff „Tier“ eng mit „Gefangenschaft“ und „Voyeurismus“ konnotiert zu sein.
3 Nota bene: Dies ist eine menschengemachte Interpretation. Unter „Person“ wird daher immer und ausschließlich ein Mensch verstanden. Wir weisen diese unzulässige Einschränkung auf das Schärfste zurück!
4 Der Autor bekennt sich zu dieser Gruppe.
5 Möglicherweise wurde den Raubameisen die Bezeichnung“ Raubtier“ verweigert, weil ihre Strategie das Tier Mensch zu stark an eigenes Verhalten erinnert?
6 So heißt es in „Meyers Taschenlexikon“: „Aus unabweisbaren morphologischen, anatomischen, serologischen, psychologischen, selbst soziologischen Gründen (sic!) muss (sic!) eine Verwandtschaft zwischen Mensch und Menschenaffen vertreten werden.“
7 Dazu muss ich mich nicht weitergehend äußern. Mein geschätzter Kollege Ludwig Feuerbach hat dazu bereits alles gesagt.
8 Dieser Menschengruppe werfe ich ihre Ignoranz nicht vor, da ihr Status in der Regel das Resultat direkter physischer oder sozialer Gewalt ihrer Artgenossen ist.
9 Unter Zwang arbeiten sie nachts, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, im Schichtdienst; freiwillig gehen sie zur gleichen Tageszeit z. B. in die Disco, damit andere, die dort Schichtdienst leisten, ihren Lebensunterhalt verdienen können.
10 Menschen würden statt „Unvernunft“ „Ehrgeiz“ sagen.
11 Wissenschaftlich ist sein Vorkommen noch ungesichert.
12 Man betrachte z. B. die Arbeiter auf industriellen Fischfangschiffen.
13 Damit kaschiert er natürlich nur sein ökologisches früheres Fehlverhalten, als er die natürlichen Feinde z. B. des Rotwildes ausrottete.
14 Die wenigsten menschlichen Bewohner der Welt sind „normale Bürger eines industrialisierten Landes“, aber alle möchten es sein, zumindest dann, wenn sie bereits von der Existenz industrialisierter Länder erfahren haben. Sie wissen jedoch nicht, dass die von ihnen angestrebte Lebensweise ein optionales Gut ist – aber das ist schon wieder Gegenstand einer anderen Untersuchung.
15 Soweit zum „guten“ Vegetarier.
16 Weiterführende Literatur: Jeremy Rifkin, Das Imperium der Rinder.