Kulles Doktorarbeit
De rerum tabaccorum
Inhalt:
1. Vorwort
2. Etymologische Untersuchungen
3. Geographische Befunde
4. Die Wahrheit – Das Paulus-Prinzip
5. Nachwort
6. Bibliographie
1. Vorwort
Diese Dissertation hat erstens den Zweck, den alle Doktorarbeiten haben – nämlich zu beweisen, daß der Verfasser besser ist als alle seine Vorgänger und sauberer gearbeitet hat. Darüber hinaus aber verfolgt diese Arbeit ein im Wissenschaftsbetrieb durchaus ungewöhnliches Ziel: Sie will die Wahrheit ans Licht fördern.
2. Etymologische Untersuchungen
Die Aufgabe des wahren Wissenschaftlers ist es, Neues zu entdecken und Irrtümer zu korrigieren.
Umfangreiche Studien haben mich in die Lage versetzt, ein völlig neues, erstmals korrektes Bild eines Gegenstandes zu entwerfen, der in der Geschichte der Menschheit eine viel umfangreichere Rolle gespielt hat, als die Zunft der sogenannten Historiker uns bisher glauben machen wollte. Deren Interesse hat sich niemals auf die wirklich wichtigen Dinge der Welt konzentriert, nämlich auf die Genußmittel. Stattdessen beschäftigt sie sich mit lästigen und unwichtigen Dingen wie Kriegen und sogenannten “großen Persönlichkeiten”.
Ich dagegen, cand. phil. Kulle, präsentiere hiermit eine Untersuchung über
Die Zigarre.
Um sich dem Ursprung eines Gegenstandes zu nähern, muß man die Sprache befragen, wenn andere Quellen nicht zur Verfügung stehen. Es wird als bekannt vorausgesetzt, daß die Zigarre ein verderbliches Gut ist, das darüber hinaus nur zu seinem eigenen Verderben produziert wurde und wird: Es soll in Rauch aufgehen. Artefakte sind also nicht zu erhoffen, auch haben umfangreichste Forschungen bisher keine versteinerten Zigarren zutage gefördert.
Meine etymologischen Forschungen haben ergeben, daß die Zigarre in Europa schon wesentlich früher verbreitet war, als bisher angenommen wurde.
Nach gängiger Lesart ist der Tabak ein ursprünglich in der “Neuen Welt” endemisches Gewächs, das im Zuge der Entdeckungen und Eroberungen des 15. und 16. Jahrhunderts seinen Weg nach Europa fand. Untersuchungen der indoeuropäischen, germanischen und althochdeutschen Sprache zeigen jedoch, daß die Europäer schon schmauchten, als Kolumbus noch nicht gezeugt war.
Zwar stammt das deutsche Verb “schmauchen” (rauchen, qualmen, behaglich Pfeife rauchen) erst aus dem 17. Jh., das altenglische “smeocan” (rauchen, räuchern) dagegen deutet eine wesentlich ältere Tradition an. Interessant hier auch das russische, also außergermanische “smûglyj” (dunkelhäutig). Hier läßt sich bereits eine Doppelbedeutung erkennen: eine Anspielung auf dunklen Rauch und das braune Deckblatt der Zigarre.
Zigarre – die deutsche Sprache kennt viele Wörter, die mit “Zi-” anlauten. Welche aber sind mit “Zigarre” verwandt? Betrachten wir zunächst das Verb “ziehen”. Bereits im 8. Jh. finden wir althochdeutsch “irziohan” (ziehen), mittelhochdeutsch ist “vol(le)ziehen” nachgewiesen (vollständig ziehen, befriedigen, etwas bis zum Ende, zum Ziele führen). Schon das sind eindeutige Hinweise darauf, daß die Kunst des Zigarrenziehens und -rauchens im europäischen Mittelalter bekannt gewesen ist. Ebenso sollte “Zitze” (Saugwarze weiblicher Säugetiere, Euter) hier nicht vergessen werden, das bereits im 8. Jh. als “tutto” nachgewiesen ist. Ohne uns in linguistische Belange einmischen zu wollen, vermuten wir, daß es hier tatsächlich eine Berührung mit dem neuhochdeutschen “Tüte” (spitzgedrehter Paperbehälter) gibt, einen eindeutigen Hinweis auf die Zigarre also. Darauf, daß das Rauchen zumindest in vergangenen Zeiten durchaus positiv bewertet wurde, deutet das Wort “Zier”(ahd.: “zierï”) hin: Es steht für Schönheit, Schmuck und Zierart(sic!!).
Was aber hat es nun mit der Zigarre selbst auf sich? Wollen wir den Etymologen glauben, dann ist das Wort sehr jung – es stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jh. und bezeichnet eine fest gewickelte, mit einem Deckblatt umhüllte Rolle aus Tabakblättern.
Eine verdächtige Jugend, nach allem, was wir bisher wissen! Eine zweifellos interessierte Jugend! Wer hat ein Interesse daran, die Zigarre historisch so jung zu machen, und wer war es, der tatsächlich zuerst an der Zigarre nuckelte?
Eins nach dem anderen!
Ein altes Volk von Tabakkonsumenten verrät sich selbst, wenn auch nicht mit den Namen, die es sich selbst gibt. Die Sinti und Roma nennt der Mitteleuropäer “Zigeuner”, und damit ist ein Volk gemeint, das im 10. Jahrhundert aus Nordindien ausgewandert ist , sich nomadisierend durch zahlreiche Lande geschlagen hat und im 15. Jh. in Deutschland angekommen ist. Um präzise zu sein: Im Jahre 1417 betraten Zigeuner nachweislich deutschen Boden. Und wie nannten die Deutschen die Zigeuner? “Cigäwnär”! Was heißt das anderes als Zigarrenraucher! Und das 75 Jahre vor der Entdeckung Amerikas!
Auch die Kunst, Zigarren vor dem Altern und Austrocknen zu bewahren, ist in Europa länger bekannt, als die Schulweisheit wahrhaben will. Aus dem lateinischen “cista” (Kiste, Kasten) wurde im Mittelhochdeutschen “Zisterne”, gemeinhin übersetzt mit “Sammelbehälter für Regenwasser”. Die ursprüngliche Bedeutung (feuchtklimatisierter Raum für die Aufbewahrung von Zigarren) ging mit dem Untergang des römischen Reiches verloren und mußte der profanen Bedeutung weichen, die nur noch die Durstbefriedigung gelten ließ.
Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß nicht nur positive, sondern auch negative Zeugnisse des Rauchens schon vor Jahrhunderten nachgewiesen werden können. Tabakgenuß stimuliert, aber wie bei jeder Droge bringt der Entzug Suchterscheinungen mit sich. Auf dieses Phänomen weist das ebenfalls vom Nomen “Zigarre” abgeleitete Verb “zittern” hin, dessen Wurzeln schon im Indogermanischen und Germanischen auszumachen sind. “Hin- und herlaufen, herumschweifen, geschüttelt werden, große Angst haben” – was beschreibt dieses Verb anderes als die Gefühle dessen, der versucht, sich dem Tabakgenuß zu entwöhnen?
Wir stellen also folgendes fest: Es gibt zahlreiche etymologische Nachweise für Tabakgenuß in Europa, die beweisen, daß Tabak bereits vor der Entdeckung Amerikas in der alten Welt bekannt war und genutzt wurde. Die gängige These, Tabak sei eine Pflanze der neuen Welt, hat sich somit als falsch erwiesen. Die nächste zu beantwortende Frage lautet demzufolge: Woher kommt der Tabak?
3. Geographische Befunde
Geographisch ist die ”Neue Welt“ vollkommen nikotinfrei – Landschafts- wie auch Siedlungsnamen geben keinerlei Hinweis auf Tabakanbau oder dessen Genuß. Eigentlich hätte dies allein Anlaß genug für seriöse Wissenschaftler sein müssen, nicht weiterhin sklavisch die Dogmen der selbsternannten Historiographie nachzubeten, aber…nun ja, lassen wir das.
Ich dagegen habe nach jahrelanger Atlasarbeit – der geneigte Leser beachte die Doppeldeutigkeit! – mit wahrhaft sensationellen Befunden aufzuwarten: Aller Wahrscheinlichkeit nach steht die Wiege des Tabaks in Nordindien, und von dort wurde sie nach Mittelasien getragen!
Allen höheren Lebewesen scheint gemein zu sein, daß sie ihren Siedlungsplätzen Namen geben, die mit der ursprünglichen Beschaffenheit der Natur, mit den Berufen ihrer Bewohner oder mit in der Region vorrangig hergestellten Produkten konnotiert sind. Als Beispiele verweise ich auf ”Bienenhügel“, ”Fischerort“ und ”Wachstal“. Wie die Bären, so halten es auch die Menschen (was, nebenbei bemerkt, ein Indiz dafür ist, daß es sich bei ihnen tatsächlich um höhere Lebewesen handelt, wenn auch etliche andere Indikatoren dagegen sprechen).
In unserem Zusammenhang ist natürlich der Tabakanbau von Interesse. Die im folgenden präsentierten Forschungsergebnisse zeigen, daß Tabakgenuß seine Genese im Zigarrenrauchen hat.
In der Ukraine, in der Nähe Charkovs, liegt der Ort Zigailovka (50.38 N, 35.07 O). Acht Längengrade weiter östlich finden wir im Wolgabebiet gleich zwei verräterische Namen: Ciganski (47.57 N, 43.05 O) und Ciganak (51.47 N, 43.18 O). Schauen wir uns am Kaspischen Meer um, so finden wir Zigalgan (49.36 N, 50.46 O). Und, wie verblüffend, auch noch weiter im Osten werden wir fündig: Noch einmal steht Ciganak auf der Landkarte, diesmal in Mittelasien, ca. 300 km südlich von Karaganda (45.06 N, 73.58 O), und in der fernen Baikalregion liegt Zigalovo
(54.48 N, 105,08 O). Einer späteren Forschungsarbeit sei es überlassen zu untersuchen, inwieweit hier auch das Städtchen Tabaco (13.23 N, 123.44 O) auf der Insel Luzon von Belang ist. Gegenwärtig ist die Besiedelungsgeschichte der Philippinen noch kaum erforscht, und selbstverständlich werde ich mich in dieser Arbeit nicht irgendwelchen Spekulationen hingeben.
Nun, jetzt liegt doch alles auf der Hand! Welches Volk von Tabakbauern und Zigarrenrauchern kann allein für die Gründung dieser Siedlungen verantwortlich sein? Natürlich – die Sinti und Roma, die sogenannten ”Cigäwnär“! Auf ihrer jahrhundertelangen Wanderung aus dem indischen Subkontinent heraus sind sie zunächst nordwärts, aber dann ostwärts und westwärts gezogen, und überall haben sie die Kunst des Tabakbaus nicht nur praktiziert, sondern auch namentlich dokumentiert.
Eine vorläufige Bilanz zeigt uns also, daß sowohl die genannten linguistischen wie auch die geographischen Befunde eindeutig zeigen, daß der Tabak in Europa bekannt war und in Zigarrenrauch aufging, bevor Amerika entdeckt wurde. Also gilt es jetzt die schwierigste Frage zu lösen:
Warum stellt die sogenannte anerkannte Wissenschaft dieses Faktum nicht korrekt dar?
4. Die Wahrheit – das Paulus-Prinzip
Ein Rückgriff in die Geschichte ist notwendig, um die oben gestellte Frage zu beantworten.
Bekanntlich hat der italienische Abenteurer Christobal Colon die spanische Königin Isabella von Kastilien nur mit einer doppelten Lüge dazu bewegen können, ihm drei armselige Schiffe auszurüsten: Er versprach ihr die Entdeckung des Seewegs nach Indien über eine Westroute, und er verhieß ihr große Reichtümer. Für die erste Lüge konnte er nichts, weil er der Landkarte Torricellis vertraute, aber die zweite Behauptung war nichts als Bluff – allerdings der entscheidende, denn Isabella brauchte Geld – wie alle großen Herren und Damen der Menschen natürlich zum Kriegführen.
Die ”Indianer“, die dann schließlich ”entdeckt“ wurden, hätten Kolumbus und seine wilde Crew vermutlich lieber nicht zu Gesicht bekommen, und er sie auch nicht. Selbst aus seinen von reiner Goldgier geleiteten Tagebuchaufzeichnungen ist abzulesen, daß er auf Kuba auf eine Kommune glücklicher Menschen traf. Da sie aber just das nicht hatten, wonach es ihn gelüstete, nahm er auf die Rückreise mit, was ihm noch das attraktivste zu sein schien. Mit einem grippekranken Indianer und zwei reichlich zerzausten Papageien landete er in Spanien an – so jedenfalls lesen wir es bei Carpentier. Isabella war von der kläglichen Präsentation nur wenig angetan und wahrte mühsam die höfische Form. Hätte sie gewußt, was Kolumbus tatsächlich anschleppte, so hätte sie ihn und seine gesamte Mannschaft mit Hilfe der Dominikaner umgehend auf den Scheiterhaufen geschickt.
Kolumbus brachte die Syphilis, die Lues. Die Lustseuche. Ich bedaure zutiefst, dem von mir verehrten und von den meisten Menschen verkannten Literaten Oskar Panizza hier widersprechen zu müssen: Zwar ist es eine schöne Idee, den Himmel das perfide und verlogene Menschengeschlecht mit der Syphilis strafen zu lassen, um es endlich bußfertig zu machen, aber diese Krankheit ist eindeutig irdischen Ursprungs. Amerikanischen Ursprungs.
Bei den Menschen ist begriffliche Eindeutigkeit in der Sprache oft nur schwer zu finden. Dennoch müssen die Menschen alles benennen. Dem außenstehenden Beobachter verrät diese Sucht nach Bezeichnung viel. Wie nannten die Menschen im 15. und 16. Jh. die Syphilis? Die Franzosen sprachen von der englischen Krankheit, die Engländer von der französischen, die Deutschen benutzten beide Begriffe oder redeten auch von der italienischen Krankheit.
Was ist auffällig an dieser Namensbildung? Jede europäische Nation schob offenbar einer anderen die Schuld an der damals noch unheilbaren Seuche zu. Wir haben es zu tun mit einer Art umgekehrten Sankt-Florians-Prinzip: Hier geht es nicht darum, daß ein anderer selbstverschuldetes oder naturgegebenes Böses ausbaden soll, sondern darum, daß die Verantwortung für die Existenz von Übel auf andere abgeschoben wird. Diesen Mechanismus, der natürlich auch die Setzung: ”Ich bin unschuldig und mache alles richtig“ beinhaltet, nennt man das Paulus-Prinzip.
Für die von europäischem Denken geprägten Menschen ist das Paulus-Prinzip seit zwei Jahrtausenden ein wichtiger Mechanismus der Lebensbewältigung. Seit zwei Jahrtausenden? Natürlich – (der nach Ansicht des Vatikans heilige) Paulus (ca. 10 bis 64 u. Z.) ist der – unfreiwillige – Namenspatron dieses Prinzips. Es besagt ganz simpel Folgendes: ” Wir selbst haben immer recht und hatten schon immer recht. Die anderen haben schon immer alles falsch gemacht und machen noch immer alles falsch; sie sind demzufolge an allem schuld.“ Wir haben es hier zu tun mit einer ethischen Haltung, die typisch für Renegaten ist – wer einmal sein Damaskus erlebt hat, kann wohl nicht anders denken, ob er nun Saulus/Paulus heißt oder Jossip Wissarionowitsch Dschugaschwili/Stalin.
Was alles, so mag sich der in wissenschaftlicher Lektüre ungeübte Leser allmählich fragen, hat das mit Tabak zu tun? Gemach!
Verfolgen wir die Kulturgeschichte des Tabaks bis in die Gegenwart. Wie unsere oben dargelegten Untersuchungen gezeigt haben, gibt es vor der Renaissance kaum Zeugnisse über Tabakgenuß in Europa, und soweit diese Zeugnisse vorhanden sind, werden sie von der offiziellen Wissenschaft geleugnet.
Belegt ist dagegen, daß der Tabakkonsum schon im 16. Jh. große Ausmaße annimmt und vermutlich den vorherigen Genuß um ein Vielfaches übersteigt – für den Anbau klimatisch günstige Gegebenheiten in Amerika und die Nutzung von billigen Arbeitskräften – auch damals gab es schon Aspekte der Globalisierung, wenn auch noch unter Bedingungen der Sklavenhaltung – machten das möglich.
Europa schwelgte im Tabak! Der Tabak beflügelte den Fortschritt! Wäre der Aufstieg Preußens zu einer ernstzunehmenden europäischen Macht denkbar gewesen ohne das Tabakkollegium des Soldatenkönigs? Freilich spielte in dieser Denkfabrik auch der Alkohol keine ganz geringe Rolle, aber das ist schon wieder ein Thema für eine andere Dissertation.
Allerdings führte der Tabak auch zu ökonomischen Krisen: Aus Gründen einer ausgewogenen Außenhandelsbilanz verbot Friedrich II. von Preußen seinen Untertanen entgegen landläufiger Meinung nicht nur den Kaffeekonsum, sondern auch den Tabakgenuß.
Andererseits konnte der Tabak auch kriegs- und souveränitätsentscheidend sein: Ohne die Einnahmen aus dem Tabakexport hätten die Waffen, die für die Erringung der amerikanischen Unabhängigkeit gekauft werden mußten, wohl nicht finanziert werden können.
Der Tabak beflügelte den Fortschritt, aber vielen war der Fortschritt ein Dorn im Auge. Welcher paulinisch geprägte Mann wollte eine in ihrem Salon klug parlierende Dame erleben, die ihn wegen seiner Langweiligkeit ignorierte und ihr Vergnügen stattdessen aus ihrem Intellekt bezog, beim Denken unterstützt von einer Zigarre oder Zigarette? Welcher anständige Ehemann konnte den Anblick eines Dandys ertragen, im kaum das Geschlechtsteil verhüllenden Beinkleid des 18. und 19. Jahrhunderts, mit allen Frauen flirtend und mit der Zigarre im Mundwinkel, die das deutlich machte, was seine Hose, die damals noch unaussprechliche, nur andeuten konnte?
Und dann kamen die Mediziner. Kaum dem Status des Kurpfuschers entronnen, machten sie sich anheischig, die Welt – sie meinten natürlich die Menschheit – von allen Übeln zu kurieren. Schnell entdeckten sie den Tabak und schoben ihm alle möglichen Ursachen für alle nur denkbaren Krankheiten in die Schuhe: Herzversagen, Kreislaufbeschwerden, absterbende Gliedmaßen, atmungsunfähige, krebsende Lungen: An allem waren angeblich Nikotin, Teer und Kondensat schuld.
Die männliche moralische und wissenschaftliche Elite Europas war sich also einig. Sie hatte den wahrhaft Schuldigen am Verfall des Abendlandes gefunden : den Tabak. (Wir abstrahieren hier davon, daß zwischenzeitlich von dieser Elite immer mal wieder andere ”Schuldige“ gefunden worden sind, z. B. ”die jüdische Rasse“. Derartige Versuche haben sich aus Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, als kurzlebig erwiesen.)
Wenn aber der Tabak das Grundübel der – in den Augen der Menschen – zivilisierten Welt darstellt, dann darf er natürlich kein wesensmäßiger Bestandteil dieser zivilisierten Welt sein. Gemäß dem Paulus-Prinzip muß er von außerhalb kommen. Wie praktisch, daß es da die von Kolumbus entdeckten ”Wilden“ gibt, die ihn angeblich schon vor seiner Ankunft kultiviert haben! Wen schert es da, daß diese arme Pflanze in Amerika erst dann in großem Stil unter europäischer Regie von afrikanischen Sklaven angebaut wurde, als die ursprünglichen Einwohner Amerikas schon erfolgreich ausgerottet waren? Meine wissenschaftlichen Kollegen anscheinend nicht…
Eine letzte Frage bleibt. Tabak, im Übermaß konsumiert, zeitigt gesundheitliche Schäden. Warum wird daraus nur die Folgerung gezogen, die Herkunft des Tabaks in einen fremden Weltteil zu verlegen? Warum wird Tabak nicht einfach verboten?
Diese Frage hängt zusammen mit dem allen Philosophen wohlbekannten Dualismus von Erkenntnis und Interesse. Die Erkenntnislage scheint klar zu sein. Wie aber steht es mit den Interessen?
In der heutigen Welt der heutigen Menschen gibt es für Interesse ein four-letter-word-Synonym: Geld. Wer also verdient an der Produktion, Verarbeitung und am Konsum von Tabak?
Natürlich Castros Cuba. Aber auch hier verweise ich auf ein mögliches Thema einer interessanten künftigen Dissertation. Gegenstand dieser Arbeit ist nicht eine spezielle Nationalökonomie, von Bedeutung sind hier internationale Konstellationen.
Den banalen Hinweis auf die in allen mir bekannten Ländern erhobene Tabaksteuer erspare ich mir und meinen Lesern.
Wichtiger dagegen sind aus den Kellern des Vatikans stammende Forschungsergebnisse, die mir manche Beule (resultierend aus kleinen Scharmützeln mit der Schweizer Garde und schlecht beleuchteten Kasematten) eingetragen haben. Ich fasse mich hier kurz, um Mittelsmänner und Vertraute nicht zu gefährden. Soviel aber sei gesagt: Ich habe den Namen des Hauptaktionärs aller großen internationalen Tabakkonzerne enthüllt! Auch wenn er sich größtenteils hinter Strohmännern verbirgt: Es ist die Bank des Vatikan!
Falls mein Doktorvater und andrere geneigte Leser es nicht bemerkt haben sollten: Dieses ist die Krönung meiner Dissertation! Ich habe das Paulus-Prinzip am Beispiel des Tabaks bis zum Ende bewiesen, denn, anders als oben nur vorläufig vorgestellt, lautet dieses Prinzip vollständig:
”Wir sind unschuldig, die anderen sind an allem schuld, aber wir verdienen daran“.
5. Nachwort
1. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
2. Ich danke meiner Sekretärin.
3. Man bewerte meine Dissertation mit ”summa cum laude“.
4. Zwei Wünsche habe ich noch:
4.1. Ich hätte gerne eine Assistentenstelle an der University of Seattle. Die dortige Umgebung könnte mir einen optimalen Lebensstil gewährleisten: morgens Jäger, nachmittags Honigsammler, und abends kritischer Kritiker.
4. 2. Zur Vorbereitung meiner Habilitation mit dem Arbeitstitel ”Die ultimate, ganz allgemeine Relativitätstheorie“ würde ich gerne an einem von Tussis nächtlichen galaktischen Ausflügen teilnehmen.
6. Bibliographie
Quellen 1 – 2001:
Autopoiesis