Mountainbiking in Moab

Biker

„Hallo?“
„Hi John, hier ist Jim. Störe ich?“
„Überhaupt nicht, ich habe deinen Anruf doch erwartet. Na, was macht unser Patient?“
„Physisch geht es ihm wieder gut. Das Kerlchen ist zwar ein Bürohengst, aber eben beneidenswerte 25 Jahre jung. Er hat viel zu trinken bekommen und eine Kochsalzinfusion, das hat ihn wieder auf die Beine gebracht. Darüber hinaus habe ich ihn komplett untersucht, mit allen Schikanen – wäre zwar nicht nötig gewesen, ist aber, unter uns gesagt, gut für mein Budget. Der Knabe ist übrigens luxuriös krankenversichert, das weiß du doch sicher, oder?“
„Nein, wie sollte ich? Er war bei uns im Büro, um Anzeige zu erstatten. Auch wenn wir ihn für verrückt halten – das ist kein Grund, ihn zu filzen. Ist er nun verrückt, oder nicht?“
„Ehrlich gesagt, John, ich weiß es nicht. Er arbeitet bei den Feds in D.C., die entsprechenden Papiere hat er mir gezeigt. Jetzt hat er sich hochgearbeitet und seit Jahren den ersten nennenswerten Urlaub – und was macht er? Kauft sich das teuerste Mountainbike, das auf dem Markt ist, obwohl er überhaupt noch nie auf einem Fahrrad gesessen hat, um auf unseren berühmten Slickrockrouten herumzugondeln. Alles das natürlich mitten im Sommer, wenn wir Temperaturen von über 100 Grad Fahrenheit und 15% Luftfeuchtigkeit haben. Völlig untrainiert will er über Stock und Stein und mal so eben 3000 Fuß rauf und dasselbe wieder runter. Ich finde, das ist verrückt.“
„Komm, Jim, laß die dummen Scherze. So verrückt sind sie alle, und wenn sie es nicht wären, dann könnten wir unser schönes Moab, Utah vergessen und einen Zettel an den Straßenrand kleben: ‚Seit dem Uranboom in den 50er Jahren ist die Stadt leider bis auf weiteres geschlossen‘. Du weißt genau, was ich von dir wissen will!“
„Entschuldige. Also, der Junge ist in Grenzen intelligent. Er hatte Wasser mit auf seiner Tour durch die La Sals. Die LaSals Allerdings zu wenig. Stattdessen hat er den technischen Kram mitgeschleppt, den man wohl für wichtig hält, wenn man ein Bürohengst aus D.C. ist. Seinen Pager zum Beispiel. Als ob er damit hier in der Wildnis für irgend jemanden erreichbar wäre. Und seinen Laptop. Das war gar nicht mal so dumm.“
„Aber genau da fängt die Sache für mich an, blödsinnig zu werden, Jim. Was will jemand mit einem Computer auf einer Radtour in Südostutah, auf der er vermutlich keinen Menschen treffen wird, bestimmt aber keine Steckdose?“
„Entschuldige, aber als Sheriff solltest du schon wissen, was diese kleinen Wundermaschinen inzwischen können. GPS zum Beispiel. Global Positioning System. Du schaltest deinen Laptop ein, und der sagt dir, wo du gerade bist. Er zeigt dir Deinen Standpunkt auf einer Karte. Damit kommen selbst Deppen zurecht, die sich alleine mit Karte und Kompass nicht zurechtfinden. Es ist ganz einfach das ideale Orientierungssystem.“
„Quatsch! Ja, du hast schon recht, dieser technische Schnickschnack interessiert mich nicht genug. Vor der nächsten Wahl muß ich mich da noch ein bißchen – wie heißt das doch? – updaten. Kannst mir ja vielleicht helfen. Aber auch wenn ich ein technischer Idiot bin – es ist unmöglich, daß ich einen simplen Computer frage, wo ich bin, ohne daß der Computer seinerseits jemanden fragt, der es wissen muß. Woher soll ein kleiner schwarzer Plastikkasten wissen, wo er ist? Oder bin ich blöd?“
„Nein, John, du bist nicht blöd, sondern ich habe blöd erklärt. Du hast völlig recht. Der Laptop fragt jemanden, der es wissen muß, nämlich den GPS-Empfänger. Der erhält Signale von zwei Satelliten mit bekannter Position. Der Rest ist Geometrie. Wenn der Laptop darüber hinaus noch ein GSM-Modem hat, kann sein Besitzer sogar ohne Telefonkabel den Sheriff um Hilfe anmailen, falls er immer noch nicht alleine zurechtkommen sollte. Bis dann die Posse kommt, kann er sich die Zeit im Internet vertreiben.“
„Und das hat unser Patient gemacht, ja? Dir hat er das auch erzählt? Er hat seinen Laptop aus dem Rucksack geholt und seine Position bestimmt?“
„Genau das hat er mir erzählt.“
„Und dann?“
„Aber das weißt du doch schon alles.“
„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Manche Menschen belügen die Polizei, aber einem Arzt sagen sie die Wahrheit. Also, wie geht die Geschichte weiter?“
„Er wollte seinen Laptop gerade wieder einpacken, als ihn eine Gruppe von Bären umringte. Fünfzehn, vielleicht auch zwanzig Tiere. Ein Bär erklärte ihm höflich, sie wollten nur seinen Computer, sonst nichts. Da er sich hoffnungslos unterlegten fühlte, tat er ihnen ihren Willen. Ohne GPS-Orientierungsmöglichkeit verfuhr er sich danach und kam dehydriert ins Sheriffsbüro, wo er Anzeige erstattete.“
„Glaubst du ihm?“
„Den ersten Teil ja, die Sache mit der Orientierung. Der Rest ist Unsinn. Bären in den La Sals werden ab und zu gesehen, aber immer als Einzelgänger, und natürlich können Bären nicht sprechen.“
„Was machst du jetzt mit ihm?“
„Solange er hier ist, bekommt er Beruhigungsmittel. Und meine eingehende Generaluntersuchung hat eine medizinisch interessante Gemengelage ergeben, die dazu führt, daß unser junger Freund unter extremer Belastung zu halluzinogenen Zuständen neigt – wer tut das nicht. Ich werde ihm das bescheinigen, er will schließlich etwas sehen für sein Geld. Wahrscheinlich hatte er wirklich ein Blackout, bedingt durch Dehydrierung, und hat den Laptop in die Büsche geworfen. Wenn sein Arbeitgeber das Gutachten in die Finger bekommt, ist er gefeuert. Schade für ihn, aber wir haben hier schließlich einen touristischen Ruf zu verteidigen.“
„Jim, ich danke dir!“
„Nichts zu danken, John. Ist schließlich alles für unsere geliebte Heimatstadt, nicht wahr?“